Für einen verbindlichen Ton ist das Anliegen zu dringend: „Kartons sind zu zerkleinern!!!“ steht auf dem handgeschriebenen Zettel, den jemand an den Papiercontainer der Hausgemeinschaft geklebt hat. Bis vor gut einem Jahr hatte die Größe der Altpapiertonne immer lässig für alle Bewohner ausgereicht. Doch mit dem ersten Lockdown wurde es eng: Bereits kurz nach der Leerung ließen sich Zeitungen nur noch mit Mühe durch den Schlitz zwingen. Wer größere Altpapiermengen oder Kartons loswerden wollte, musste auf diesen einen Moment lauern: nach der Müllabfuhr, aber vor den Nachbarn.
Die Corona-Pandemie hat neben vielem anderen auch unsere Einkaufsgewohnheiten verändert: Wir ordern nicht nur den größten Teil der benötigten Hardware im virtuellen Kaufhaus, sondern auch immer öfter unsere Lebensmittel im Internet. Mehr als jeder achte Euro der Haushaltsausgaben für Waren wurde 2020 laut einer Erhebung des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland (Bevh) im Internet ausgegeben, der Brutto-Umsatz mit Waren im E-Commerce stieg von 72,6 Milliarden auf 83,3 Milliarden Euro. Aus den „Silver Agern“ sind „Silver Surfer“ geworden: Mittlerweile stammen 55,6 Prozent der Online-Umsätze von den über 50-Jährigen, und gut ein Drittel davon von Senioren über 60. Die GfK prognostizierte bereits vor Corona eine Verdopplung der Umsätze im Online-Handel bis 2025. Ob B2B oder B2C: Am Internet-Auftritt kommt über kurz oder lang kein Handelsunternehmen mehr vorbei.
Online-Handel als Ressourcen-Frevel?
Online-Shopping allerdings hat sichtbare Nebenwirkungen. Versandkartons, Verpackungsmaterial und Einwegbehälter füllen die Müllcontainer schneller, als die Entsorgungsunternehmen arbeiten können. Bei Lebensmittelabfällen und Plastikverpackungen etwa wurde seit Beginn der Pandemie eine Steigerung von 43 und 53 Prozent verzeichnet. Die Nachfrage nach Kartonage ist 2020 durch den starken Trend zum Online-Handel um 2,6 Prozent auf 12,4 Millionen Tonnen gestiegen, was sich nun auch an dem heimischen Papiercontainer bemerkbar macht – vor allem, wenn Kartons nicht ordnungsgemäß zerkleinert werden.
Zu viel Verpackungsmüll, ausufernde Logistik, hoher Kohlendioxid-Ausstoß beim Transport bis vor die Haustür und dann noch das aufwändige Retouren-Management: Es ist nicht verwunderlich, dass viele Konsumenten angesichts ihrer virtuellen Shopping-Touren vermehrt das grüne Gewissen plagt. Eine Studie von YouGov im Auftrag von Box. Inc. zeigt auf, dass knapp jeder zweite Verbraucher in Deutschland den E-Commerce für eine nicht nachhaltige Form des Einkaufens hält. Lediglich 13 Prozent der Befragten gaben an, Online-Bestellungen seien umweltfreundlicher als der Kauf im stationären Handel.
Mehr als ein Trend: Klima und Digitalisierung sind die Themen unserer Zeit
Neben der aktuellen Pandemie sind Klimawandel und Digitalisierung die entscheidenden Treiber der globalen Transformation. Das macht sie zu den zwei zentralen Themen unserer Zeit. Für Handelsunternehmen bedeutet dies, dass es bei der Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft nicht alleine um den Schritt in Richtung E-Commerce geht. Sondern auch darum, dabei den ökologischen Fußabdruck möglichst gering zu halten. Angesichts des wachsenden ökologischen Bewusstseins der Konsumenten hängt der Erfolg der digitalen Transformation entscheidend davon ab, in welchem Ausmaß ein Unternehmen auch seiner Klima-Verantwortung nachkommt.
Eine YouGov-Umfrage von Trusted Shops (2019) ergab, dass 60 Prozent der Deutschen Wert auf Nachhaltigkeit beim Online-Einkauf legen. Bei den Online-Händlern selbst sehen sogar 92 Prozent die Bedeutung dieses Themas. Doch wie kann so etwas wie Sustainable E-Commerce tatsächlich gelingen?
Handeln für morgen: 5 nachhaltige Trends im E-Commerce
Trend 1: Nachhaltige Produkte
Energieeffiziente Haushaltsgeräte, Bio-Lebensmittel, Öko-Labels: „Grüne“ Produkte erobern immer mehr Konsumbereiche. Auch wenn es sich dabei meist noch um Marktnischen handelt, entwickelt sich die Nachfrage hier durchgehend positiv – und eröffnet auch dem Handel Möglichkeiten, sich hier über das Ja zu nachhaltiger Ware off- wie online klar zu positionieren.
Trend 2: Re-Commerce
Aus alt kann nicht neu werden, aber doch zumindest neuer: Gerade im E-Commerce hat sich der Trend zur Wiederaufbereitung und zum Wiederverkauf vieler Konsumgüter bereits erfolgreich etabliert. Rebuy und Momox bringen gelesene Bücher in den Handel, Anbieter wie Refurbed geben elektronischen Geräten eine zweite Chance – und bieten inzwischen überarbeitete Gebrauchtgeräte sogar zur Miete an. Der Mode-Riese Zalando offeriert in der Kategorie „Pre-Owned“ Secondhand-Mode an. Und selbst die etablierte Handels-Plattform Ebay hat im Corona-Jahr 2020 Rekord-Umsätze gemacht mit der Lust der Kunden am gebrauchten Gut.
Trend 3: Regionaler Online-Handel
Die Corona-Pandemie hat bei Verbrauchern einen Zweifel am grenzenlosen Shopping ausgelöst: Zurückgeworfen auf ihre nächste Umgebung ist das Interesse an der heimischen Region gewachsen. Der Kauf vor Ort verspricht außerdem kürzere Transportwege und – zumindest bei Lebensmitteln – mehr Frische. Profiteure dieses Trends sind unter anderem lokale Online-Marktplätze, die regionale Handelsangebote bündeln und als eine Art virtuelles Abbild der Einkaufsstraße vor der Haustür fungieren.
Trend 4: Nachhaltiger verpacken
Riesige Kartons für wenig Ware, dafür jede Menge Füllstoff? Deutlicher kann ein Versandunternehmen den Mangel an Nachhaltigkeit dem Konsumenten gar nicht vor Augen führen. Nachhaltiges E-Commerce beweist sich über den sparsamen Umgang mit Verpackungsmaterial und die Verwendung von möglichst ökologischen und ressourcenschonenden Materialien. Nachhaltig clever: Der Kosmetik-Händler The Body Shop verschickt die online bestellte Ware in Kartons, die innen kreativ bedruckt sind und so – auf links gedreht – von den Kunden als Deko-Schachteln oder Geschenkboxen weiterverwendet werden können.
Trend 5: Klimaneutraler Versand
Laut einer von Appinio durchgeführten Umfrage sind 68 Prozent der deutschen Konsumenten bereit, bis zu fünf Prozent des Kaufpreises eines Produkts zusätzlich zu zahlen, damit dieses klimaneutral versendet wird, also der durch den Versand entstehende CO2-Ausstoß kompensiert wird. Vor allem Online-Shopper unter 25 Jahren zeigen sich interessiert an einer solchen Option.
So gelingt die Transformation in Richtung Sustainable E-Commerce
Die Implementierung von mehr Nachhaltigkeit im Online-Handel ist ein Prozess, der nicht nur auf mehr Nachhaltigkeit abzielt, sondern auch nachhaltig angegangen werden sollte. Das fängt damit an, dass der Gedanke der Klimaverantwortung bereits im unternehmerischen Leitbild verankert und damit zur Grundlage für eine Vielzahl von Entscheidungen gemacht wird. Klar formulierte, messbare und durchaus ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele geben die Richtung vor und führen zu einem umfassenderen Engagement bei der Verringerung des ökologischen Fußabdrucks.
Der Nachhaltigkeitsgedanke muss zudem umfassend im Betrieb implementiert werden, da er alle Unternehmenszweige betrifft – von der Auswahl der Zulieferbetriebe über die Herstellungsbedingungen und die Organisation der Verwaltung, über Logistik und Versand, Energiemanagement und Bürogestaltung bis hin zu den Stores sowie Online- und Drittanbieter-Marktplätzen.
Gutes tun – und darüber reden: Wer in Nachhaltigkeit investiert, darf und sollte dies nicht zuletzt auch transparent machen. Zum einen, um die getätigten Schritte gegenüber dem öko-bewussten Kunden sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Zum anderen aber auch, um den Konsumenten zum Öko-Kollaborateur zu machen, der ebenfalls seinen Teil dazu beiträgt, dass der Online-Handel zunehmend nachhaltig wird – etwa durch das ökologisch smarte Abwägen zwischen On- und Offline-Kauf, den Verzicht auf Express-Lieferungen, durch die Nutzung von Paketautomaten, die Reduzierung von Retouren und der Weiterverkauf nicht mehr benötigter Ware.
Fazit
Corona hat es dem Handel noch einmal klar vor Augen geführt: An E-Commerce führt langfristig kein Weg vorbei. Trotzdem hat laut einer aktuellen Forsa-Umfrage fast jedes dritte kleine bis mittelständische Unternehmen noch immer keinen eigenen Internetauftritt, zwei von drei Firmen dieser Größe verzichtet auf die Nutzung Sozialer Medien, um für sich oder ihre Produkte zu werben. Doch auch diejenigen, die bereits online tätig sind, müssen sich wandeln: in Richtung Sustainable E-Commerce. Die ökologische Transformation ist allerdings – ähnlich wie die digitale Transformation – kein einmaliger Schritt, sondern ein fortlaufender Prozess, der top-down höchste Priorität haben muss, um zum Erfolg zu führen.
Denn der Kampf gegen den Klimawandel ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Und Handelsunternehmen, die von einer zunehmend konsumkritischen Generation ernst genommen werden wollen, müssen es ebenso ernst meinen mit der Umsetzung nachhaltiger Grundsätze.